Ellen Key und das Jahrhundert des Kindes 180 kb, 35 Seiten
Besprechung:
Problematisch ist die Bewertung der Forderungen Ellen Key's in dieser Haumptseminararbeit in Bezug auf die heutige Schule. Recht unkritisch wird da die These der "Grundschule als wirkiche Gesamtschule" als Realisierung von Ellen Key's Thesen ausgegeben. (Der Grundschulbesuch ist an den Schulbezirk gebunden und in der Regel ist damit auch die gesellschaftliche Trennung der Kinder über die Grundstückspreise gegeben. Besitzende und nicht-Besitzende bleiben getrennt).
Ebenso schwierig ist die Zusammenschau von Oberstufenreform und die von Ellen Key "geforderte Spezialisierung der Schüler auf die Fächer, in denen sie begabt sind oder für die sie sich interessieren." (Abgesehen von den 'wirklichen' Gründen der Oberstufenreform ist die Wahlmöglichkeit der SchülerInnen (Begabung und Interesse) längst dem Roll-Back der Bildungsre-reformer zum Opfer gefallen.
Auch daß auf die "Selbsttätigkeit des Schülers" 'immer mehr Wert' gelegt wird vermag im Lichte von PISA nicht recht zu überzeugen.
Es verwundert dann auch nicht, daß [unter Berufung auf Wolfgang Keim (Bielefeld)] der Vorwurf aufgewärmt wird, einen stark rassehygienischen, sozialdarwinistischen Zug an den Tag zu legen und eine Pädagogik für Mittelsschicht und Oberschichtkinder zu entwerfen, keinesfalls jedoch für proletarische Kinder, die sie (Ellen Key) selbst nur vom hörensagen her kenne. Auch über wenig begabte Kinder habe Ellen Key nur wenig zu sagen.
Diese Bewertung und die 'Problematisierung' wird Ellen Key und ihrem Anliegen: 'Das Jahrhundert des Kindes' nicht gerecht. Auch die Erwähnung von Ulrich Herrmanns 'vernichtender Kritik: "'Diese Rhetorik [...] beansprucht den Gestus von Reform, ohne diese doch selber praktisch herbeiführen zu können' (Herrmann in Key 2000, S. 264)" verkennt die Ausgangslage des Jahres 1901 von Ellen Key, in der sie ihr Buch: Das Jahrhundert des Kindes schrieb. Ich hätte mir gewünscht, Münch hätte sich weniger auf die Sekundärliteratur verlassen und wäre mehr seinen eigenen Eindrücken gefolgt.
Es stimmt nachdenklich, dass Daniel Münch abschließend eine Lanze für Ellen Key bricht und resümiert, daß "in Bezug auf Ellen Key noch viele Forschungsfelder offen sind". Daß ihre "kraftvolle Vision" anders überzeuge, als die heutigen - angeblich - "noch nie dagewesenen" Reformen im Bildungssektor
Es läßt den Eindruck entstehen, daß der radikale Impuls von Ellen Key doch stärker ist, als es die etablierte Erziehungswissenschaft von heute gerne hätte und daß er auch gegen den Mainstream, für den die Reformpädagogik doch nur noch Schnee von gestern ist, noch Studenten erreicht und begeistert.
Jürgen Göndör