Diplomarbeit Margrit Hansen - Uni Flensburg
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Kritische Würdigung der von Ellen Key genannten Vorbedingungen ...
Die Familie



2.2.1.2 Liebe und Ethik

2.2.1.2.1 Einflüsse

"Liebe und Ethik" heißt der Titel eines kleinen Bändchens, in dem die Hauptthesen des umfangreichen Werkes "Über Liebe und Ehe" noch einmal zusammengefasst werden.

Wenn Ellen Key über Sittlichkeit spricht, so verwendet sie diesen Begriff oft synonym mit Glücksmoral, Glückslehre oder auch Glücksethik.

Einfluß auf die Entwicklung ihrer Ethik haben nach eigener Aussage vor allen anderen Baruch de Spinoza (1632-1677) und Johann Wolfgang von Goethe genommen.

Ellen Key findet sich wieder in Spinozas Gedanken zum Lebenswillen, zum Selbsterhaltungstrieb, zur Naturauffassung und im "tiefsten aller Gedanken, Spinozas Gedanken, dass Freude Vollkommenheit ist." (Ü.L.u.E.:59 und L.G.:290) [20]

Spinozas Anthropologie, die von der Parallelität der Attribute Denken und Ausdehnung in Gott ausgeht, hat Ellen Key ebenso aufgenommen wie seine Affektenlehre.

Goethe stand ihr durch seine pantheistische Glaubensauffassung nahe, auch durch seine Gedanken über die Liebe. Den Evolutionsgedanken sah sie in seinen Arbeiten zur vergleichenden Morphologie schon angedeutet. (L.G.:273 f.)

Die Werke nordischer Dichter bestimmen Ellen Keys Denken, wie sie selbst betont : Carl Jonas Love Almquist (1793-1866), Henrik Ibsen (1828-1906) und Björnstjerne Björnson (1832-1910).

Ellen Key widmet Ibsens Individualismus einen Essay [21].

Björnson ist nicht nur Dichter, sondern auch Journalist und Politiker. Als Anhänger des Entwicklungsgedankens fordert er eine neue Ehemoral und die Gleichberechtigung der Frau.

Almquist, der in seiner Dichtung soziale Fragen behandelt und die kirchlich institutionalisierte Ehe in Frage stellt, weil ihm die sittlich-moralische Grundlage wichtiger ist, zeigt wiederum durch Schleiermacher und Comenius beeinflusste Gedanken.

Auch die Ansichten eines Ludwig Feuerbach, August Comte und Herbert Spencer finden in Schweden ihre Anhänger und waren auch Key vertraut.

Einflüsse aus England (Charles Darwin, Francis Galton, John Stuart Mill und Harriet Taylor) führten u. a. zu einer Epoche, die man "Det moderne gennemrud" (Der moderne Durchbruch) nennt. [22]

Darwin hat immer versucht, zwei Gebiete genügend klar auseinanderzuhalten: den Entwicklungsgedanken als solchen und den Versuch, diese offensichtliche Tatsache der Evolution von Pflanzen, Tieren und Menschen ursächlich zu erklären. Doch er verwirft auch das Prinzip Lamarcks nicht, nach dem erworbene Eigenschaften vererbt werden können. Darwin schreibt sein Buch etwa sieben Jahre, bevor Gregor Mendel die Vererbungsgesetze entdeckt und lange bevor die moderne Genetik entsteht. Mit wissenschaftlicher Ehrlichkeit bekennt er: Die Gesetze, welche die Erblichkeit beherrschen, sind zum größten Teile unbekannt. (Hemleben, 1968:107ff.)

Sein Vetter F. Galton veröffentlicht 1865 die Schrift > Heriditary talent and charakter< , in der er auf die Erblichkeit v.a. der psychischen Eigenschaften hinweist. Durch > Hereditary genius, its laws and consequences< (1869) gilt Galton als Mitbegründer der Eugenik, der er den Namen gibt.

Neben Malthus > Essay on the Principle of Population< (1798) diskutiert E. Key die Forschungsergebnisse von Alfred Russel Wallace, dessen Veröffentlichungen über die natürliche Zuchtwahl durch Auslese im Kampf ums Dasein (1858) Darwin veranlaßten, seine eigenen Forschungsarbeiten zu publizieren.

Diese Themen haben Key sehr interessiert, denn sie schreibt in den Anmerkungen zum 1.Kap. des J.d.K: "Trotz meiner Versuche, von Sachverständigen genaue Mitteilungen über die neuere Literatur über ‘eugenics’ zu erhalten, ist es mir in dieser Richtung nur gelungen, mir folgende Arbeiten zu verschaffen:..." [23]

2.2.1.2.2 Ellen Keys Ethik

Bei Ellen Key findet man den Gedanken der Veredlung der menschlichen Gattung durch Liebe und bewusste Auswahl. Ihre "erotische Sittlichkeit" ist aber nie "von Staats wegen" verordnet, sondern in einem persönlichen Verantwortungsgefühl begründet, dem volonté générale ähnlich, der hier alle an ein Sittengesetz bindet, dass die Individuen sich selbst gegeben haben.

"Aber die Pflichtensphäre, die sich immer erweitern wird ist die, die das Recht des Kindes umschließt (...) Dann wird man das Kind, das sein Leben von gesunden, liebenden Menschen empfangen hat und das dann in Weisheit und Liebe erzogen wird, ein ‘eheliches’ nennen, auch wenn seine Eltern sich in voller Freiheit vereinigt haben." (J.d.K.:33)

Die Liebe, die die weibliche und männliche Sittlichkeit veredeln soll, schließt Liebe zum Kind, welches aus dieser Verbindung hervorgeht, ein.

Damit grenzt sie sich ab von den auch von ihr so genannten "Rasseveredlern" , denen es ihrer Meinung nach genügt, wenn lieblose Eltern ein körperlich gesundes und kräftiges Kind hervorbringen. Sie zitiert Disraeli "einen der hervorragendsten Repräsentanten des Judentums" mit den Worten: "Rasse ist alles; es gibt keine andere Wahrheit, und jede Rasse, die sorglos Blutvermischung zuläßt, geht unter." fügt aber ihrerseits hinzu, dass andere Gelehrte gewisse Rassemischungen für höchst ersprießlich halten. (J.d.K.:27)

Keys "erotischer Individualismus" soll immer dem Ganzen dienen, ihr Ziel ist nicht Nietzsches Übermensch sondern die Übermenschheit;" (Ess.:13)

"Kein Dichter hat reichere Worte über das Wesen der grossen Liebe gesagt. Aber keiner hat den neuen Willen des Weibes zu eben dieser Liebe weniger verstanden. Kein Seelenforscher der neueren Zeit hat tiefere Entdeckungen in der Menschennatur gemacht, aber für keinen hat "Mensch" einseitiger "Mann" bedeutet. (Ü.L.u.E.:99)

2.2.1.2.3 Bezüge zu Deutschland

Helene Stöcker und Maria Lischnewska vertreten im kaiserlichen Deutschland sehr ähnliche Thesen. Mit SelbstBewusstsein und Zivilcourage packen sie Fragen der Sexualmoral und der Sexualethik an. Sie gehören zu einer Minderheit ungewöhnlicher und auch privilegierter Frauen, die es wagen, zwischen Sexualität und Politik, zwischen Rechtsstellung der Frau, Mutterschaft und Unterdrückung Verbindungslinien zu ziehen. [24]

Helene Stöckers Studienfächer - sie hat eine Ausnahmegenehmigung - sind Literaturgeschichte, Philosophie und Nationalökonomie. Sie kennt ebenfalls das Werk Friedrich Nietzsches und stellt seinem "Übermenschen" ein erweitertes Konzept einer "neuen Menschheit" gegenüber.(Stöcker, 1906:65f.)

Sie will weder wie ein Mann sein, noch seine Weltanschauungen übernehmen: ‘Werde, die du bist’ heißt ihr Motto, und ihre ‘neue Ethik’ und Sexualreform, die sie in dem von ihr gegründeten "Bund für Mutterschutz und Sexualreform"[25] vertritt, bedroht die Grundfesten der bürgerlichen Ordnung:

Anerkennung von Lebensgemeinschaften ohne Ehe, Gleichstellung der unehelichen Kinder, Einführung einer staatlichen Mutterschaftsversicherung, Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung, ökonomische Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Frau, Selbstbestimmung über ihren Körper; Recht auf Freiheit und Liebe (Stöcker, 1906:20)

H. Stöcker redigiert von 1905-1907 die Zeitschrift "Mutterschutz, Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik"; von 1908-1933 "Die neue Generation", in der auch Ellen Key Artikel veröffentlicht (1913).

H. Stöcker beteiligt sich selbst an der Debatte, widerspricht aber überall da, wo Geburtenplanung als "staatlicher Gebärzwang" im Interesse der Zahl oder gar eines "Rassezüch-tungsprogramms" erwogen wird. Sie ist Anhängerin der "malthusian league", die für Geburten-kontrolle eintritt, - als Mittel sozialer Reformen - und sich davon auch eine "Höherentwicklung der Menschheit" der "menschlichen Rasse" (daher "Rassenhygiene") verspricht.

2.2.1.2.4 Schwierigkeiten

Ellen Key vertritt mit wenigen Abweichungen (Zahl der Kinder) ähnliche Vorstellungen; von Malthus sagt sie, dass er sein Werk schrieb, um Kindersterblichkeit und Kindermord zu verhindern: "Persönlich ein ebenso untadeliger wie zartfühlender Mensch, musste Malthus, wie alle anderen Reformatoren der Sittlichkeitsbegriffe, unverschämte Beschuldigungen der Verderbtheit und Unsittlichkeit über sich ergehen lassen. Dasselbe widerfuhr Harriet Martineau." (J.d.K.:21) [26]

Harriet Martineau schreibt 1837 das klassische Werk >Society in America<, das neben Tocquevilles >Democracy in America< bzw. >De la démocratie en Amérique< die informativste Schrift ist, die von Europäern des 19. Jahrhunderts über das Funktionieren demokratischer Prinzipien in der amerikanischen Gesellschaft verfasst wird. Ökonomie, Frauenfrage und sozialer Fortschritt werden hier auch bereits als zusammenhängend begriffen. [27]

Nicht verschwiegen werden soll in diesem Kontext, dass Ellen Key sich nicht scheut, ein weiteres gesellschaftliches Tabu anzusprechen: Die christliche "Milde" einer Gesellschaft, die den Krieg und die Todesstrafe gestattet, die kleine Kinder zu Tausenden in Fabriken schickt, die das uneheliche Kind samt der Mutter stigmatisiert, aber "das Leben des psychisch und physisch unheilbar kranken und mißgestalteten Kindes zur stündlichen Qual für das Kind selbst und seine Umgebung verlängert". (J.d.K.:30)

Key meint, dass die Ehrfurcht vor dem Leben nicht groß genug sei, solange nicht ausschließlich Barmherzigkeit den Tod gibt.

Auf diese gesellschaftlichen Widersprüche hinzuweisen ist gefährlich, nicht nur Ellen Key ist vorgeworfen worden, sie würde diese Widersprüche nicht nur beschreiben, sondern auch Maßnahmen konkret befürworten.



Fußnoten:
[20] Vgl. Schillers "Ode an die Freude", der den ,Götterfunken¹ mit Brüderlichkeit (Mitmenschlichkeit) und Sanftheit verbindet.

[21] Ellen KEY: Die Wenigen und die Vielen. Neue Essays.1905:127 ff.

[22] Vgl. Wilhelm Friese, Nordische Literaturen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1971

[23] hier folgt eine Liste von drei englischen, 16 französischen und 7 deutschen Werken zu diesem Thema

[24] Vgl. Ute Gerhard: Unerhört. Die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung: 265 ff.

[25] Der Bund dt. Frauenvereine wandte sich entschieden gegen die "neue Ethik" und den 1905 von H.Stöcker gegründeten ,Bund für Mutterschutz und Sexualreform¹! in: Nave-Herz, 1988: 43 f.

[26] Vgl. zum Thema Empfängnisverhütung/ Strafbarkeit - auch der Aufklärung darüber: Janssen-Jurreit, S.201 ff.

[27] Vgl. Janssen-Jurreit, 1976:194 ff.



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