Diplomarbeit Margrit Hansen - Uni Flensburg
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Inhaltsverzeichnis
Die Familie
Elterliche Erziehung



2.2.2.2.2 Bedeutung des Vaters

Wenn Weiblichkeit und Mutterschaft keine Rechtfertigung für staatsbürgerliche Freiheitsbegrenzungen sein darf, muss auch die Rolle des Mannes als Ernährer der Familie und als Vater neu definiert werden:

"Der Dichter, der hier im Norden mit einem Schlage das veraltete, conventionelle Weibsideal zertrümmerte, das sich unter allen Umständen opfernde, war Ibsen, als er Nora von Mann und Kindern hinaussandte, um die Pflichten gegen sich selbst zu erfüllen; als er durch die Gespenster dem sittlichen Bewusstsein einätzte, dass eines Weibes Treue gegen ihre eigene Persönlichkeit auch für das Wohl der Anderen bedeutungsvoller ist, als die Treue gegen conventionelle Sittlichkeitsbegriffe." (W.u.V.:169)

Der Mann sollte sich aber genau wie die Frau einer gesellschaftlichen Neuordnung verpflichtet fühlen,

Obwohl über die Vaterrolle bei Ellen Key sehr viel weniger ausgesagt wird, als über die Rolle der Mutter, gibt es bei ihr keinen Zweifel an der Wichtigkeit des Vaters. "Und schliesslich braucht das Kind den Vater, wie der Vater das Kind." (L.u.E.:192)

"Wenn der Mann nicht mehr allein die Bürde der Familienversorgung trägt, wird seine Erziehungspflicht auch eine Wirklichkeit werden können. Er kann dann die Zeit finden, seine Eigenschaften nach dieser Richtung zu entwickeln." (Ü.L.u.E.:410)

Denn es ist im letzten Grunde der Mann, "der den größten Schaden erleidet, denn unter den jetzt gegebenen Umständen braucht er weder Güte noch Gerechtigkeit noch Intelligenz, um in der Familie Herrscher zu sein." (D.Fr.:198) Seine humanen Eigenschaften verkümmern.

In den Essays lässt sie in einem Dialog einen Mann ausrufen: "Man hat heute keinen Blick für das Einzige, was motiviert, dass man da ist: nämlich gerade zu leben! Man hat tausend Dinge vom Morgen bis zum Abend um seine Zeit zu vergeuden - aber für sein Weib, sein Kind, seine Seele hat man keine Zeit! Man macht Bücher, Kunst Musik, Politik, Geschäfte - wofür, in aller Götter Namen, wofür? Vielleicht für die Menschheit?! Aber das einzige Stück Menschheit, das ich ganz besitzen, formen, schaffen, beglücken kann - mein eigenes Leben, meine innigsten Lebensverhältnisse - die zu einem Kunstwerk zu machen, darum kümmert sich Niemand!" (S.299)

2.2.2.2.3 Lösungsansätze

Die Veränderung der Rechtsbegriffe zugunsten der Souveränität der Frau würde das Wachstum der Persönlichkeit des Mannes fördern . Denn die Position des Herrschers verleitet ihn zu menschlich niedrigen Verhaltensweisen: " Die Ehe, die zu den rohesten Geschlechtsgewohnheiten, dem schamlosesten Handel, den qualvollsten Seelenmorden, den grausamsten Misshandlungen und den gröbsten Freiheitsverletzungen herabgewürdigt wird, die irgend ein Gebiet des modernen Lebens aufzuweisen hat! Man braucht nicht zur Kulturgeschichte zurückzugehen, sondern nur zum Arzt und zum Rechtsanwalt, um zu erfahren, wozu "der heilige Ehestand benützt wird." (Ü.L.u.E.:321)

Gewalttätige oder dogmatische Versuche, die Natur zu zwingen, sich in die Theorie der Gleichstellung einzupassen, sind jedoch abzulehnen.

Religion und Militarismus als Machtbereiche des Männlichen sind zu verändern: "Aber Militarismus und Klerikalismus unterdrücken die Freiheit durch das Prinzip der Autorität, die Selbstbestimmung durch das der Disziplin, den Mitbürgersinn durch das des Kriegerruhms, das Rechtsgefühl durch das der Soldatenehre." (J.d.K.:220)

Unselbständigkeit wird unter dem Namen von Pflichttreue, Gehorsam und Disziplin gehandelt.

Für beide Bereiche trifft zu, was Kant hervorgehoben hat (J.d.K.:218f): Nicht weil ein Ding verboten ist, muss es vermieden werden, sondern weil es an und für sich Unrecht ist. "Die Köpfe, die jetzt die Widersprüche des Christentums und des Kriegs vereinigen können - ja, die aus ihnen Kraft und Trost holen - sind durch jahrtausendealte Zwangsvorstellungen entartet." (S.219)

Um den Mann daraus zu befreien, könnte die Frau tatsächlich zu einer 'Gehilfin/Helferin' des Mannes werden, was aber nicht gelingen kann, wenn sie ihn nur nachahmt.

"Männer und Frauen werden zusammen menschlichere Gesetze erlassen als die Männer allein. Frauen und Kinder betreffende Fragen werden von Männern und Frauen ernster behandelt werden können, Männer und Frauen können zusammen das soziale Leben aus mehr Gesichtspunkten betrachten als einer allein." (D.Fr.:124)

Die Veränderung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und damit der Werteordnung erscheint ihr ebenso notwendig: "Aber unsere Zeit - des Industrialismus - hat den Sieg im ökonomischen Wettbewerb als höchsten Lebenswert hingestellt - das nacktest Geistesarme, das Menschen seit dem vorhistorischen Kampfe ums Dasein erstrebt haben!" (Ess.:43, s. auch Ess: 299/300 u. J.d.K.:232)

2.2.2.3 Die Kinder in der Familie

2.2.2.3.1 Selbstbestimmung

Das Kind wird in seiner Entwicklung zum Erwachsenen dann am besten gefördert, wenn man es immer als Mensch behandelt.

Was man Förderung der individuellen Entwicklung nennt, ist häufig von Verfahren begleitet, als wären Kinder kein Selbstzweck, sondern zum Stolz und zur Behaglichkeit ihrer Eltern erschaffen. (J.d.K.:83)

In dem Bemühen, die Modellserie "Musterkind" herzustellen, regelt man alles, jederzeit soll das Kind das eine tun, das andere lassen, sich für dies interessieren, das andere, was ihm aber gerade in den Sinn gekommen ist, nicht mehr beachten.

Richtiger aber ist es, das Selbständigkeitsgefühl zu erwecken, zu beleben und begünstigen, während leider häufig das originelle, selbstbewusste Kind am schlimmsten zurechtgewiesen wird (S.85), weil es sich nicht "krümmt".

Aber um das Kind zu einem sozialen Menschen zu erziehen, muss man es auch als einen solchen behandeln, während man gleichzeitig seinen Mut stärkt, ein Individuum zu werden.

Das Kind muss mit Zurückhaltung, Feingefühl und Vertrauen behandelt werden, ganz so, wie man es einem Erwachsenen gegenüber auch zeigen sollte.

Die Anerkennung des Kindes als eigenständige Person verbietet es, dass Erwachsene es einmal vorzeigen, dann lächerlich machen, dann totküssen, dann wieder kommandieren oder wegstoßen. (S.90)

"Ruhig und langsam die Natur sich selbst helfen lassen und nur sehen, dass die umgebenden Verhältnisse die Arbeit der Natur unterstützen, das ist Erziehung." (S.77)

Das bedeutet, dass man das Kind in Frieden lassen soll, die Welt um es herum aber so zu gestalten hat, dass es darin wachsen und frei sein kann, bis es, wie jeder Erwachsene auch, an die Grenzen des Rechts anderer stößt. Dies zu bemerken, muss man es lehren..

Herrschsucht der Eltern führt häufig zu Anwandlungen den "Trotz" zu brechen: "> Du willst nicht< , sagen Vater und Mutter, > ich werde Dich lehren, ob Du einen Willen hast! Den Eigensinn werde ich Dir schon austreiben.< (S.86)"

KEY lobt die Anweisungen Rousseaus, Spencers und Montaignes zur Erziehung kleiner Kinder, z.B. wie man auf das Schreien kleiner Kinder reagieren sollte oder wie man ihm Gefahren verdeutlicht (Verbrennen).(S.87) Unmittelbare Eingriffe, die wegen einer Gefahr für das Kind oder einer Beeinträchtigung anderer, unvermeidlich sind, sollten folgerichtig, rasch, unveränderlich und konsequent erfolgen.

"Würde ich selbst damit einverstanden sein, so behandelt zu werden, wie ich eben mein Kind behandelt habe?" (S.91) Das sollte der "pädagogische Imperativ" (Nachwort im J.d.K.:259) sein, an dem der Erzieher sich immer überprüfen könne.

Intensiv diskutiert sie das Für und Wider der körperlichen Züchtigung: der Vergleich, den schon Comenius anführte, wenn er den Erzieher mit einem Musiker vergleicht, der sein ungestimmtes Instrument mit den Fäusten bearbeitet, anstatt Ohr und Hand zu gebrauchen, um es zu stimmen, erscheint ihr besonders treffend. (S.93) "Mangelnde Selbstzucht, mangelnde Intelligenz, mangelnde Geduld, mangelnde Würde - das sind die vier Ecksteine, auf denen das Prügelsystem ruht." (S.96)

Und seine Wirkung geht dahin, dass sie den Feigen feiger, den Trotzigen trotziger, den Harten härter macht, so dass Hass und Furcht als Wurzel von fast allem Bösen in der Welt gestärkt werden (S.99)

"Niemand, der für eine Lüge geschlagen wurde, hat dadurch die Wahrheit lieben gelernt!" (S.103)

Der Wille des Kindes zur Selbstbeherrschung, zu Mut und Aufrichtigkeit hingegen sollte gestärkt werden, dort wo es noch schwach ist, sollte es gestützt werden.

Und es ist unschwer zu erkennen, dass dadurch auch der Erwachsene einer Selbstprüfung und Selbsterziehung unterworfen wird, der er sich vielleicht gern entziehen möchte.

Denn auch die Idealität des Erziehers ist gefordert, und er müsste sich vor der Hoheit (der ursprünglichen Vollkommenheit) des Kindes beugen, anstatt sich für erhaben zu halten. (S.120)

"Die Erziehung wird so eine viel einfachere und unendlich viel schwerere Kunst als die jetzige Erziehung mit ihrem gekünstelten Dasein und ihrer doppelten Moral, einer für die Kinder und einer für die Erwachsenen, einer Moral, die oft streng für das Kind und lax für die Erwachsenen ist, ebenso wie umgekehrt." (S.115)

2.2.2.3.2 Kollektive Erziehung

Um zu beurteilen, was für das Kind wichtig ist, betrachtet Ellen Key die Beziehungen, die das Kind zu beiden Elternteilen hat. Natürlicherweise ist die Mutter zunächst wichtiger für das Kind als der Vater. [40]

Durch den Wunsch der Frau nach größerer Selbstbestimmung entsteht ein Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Frau nach Unabhängigkeit und den Forderungen, die ein Kind stellt.

Diesem Konflikt begegnet die Frauenbewegung mit verschiedenen Lösungsvorschlägen.

Die "äußerste Rechte" [41], so Ellen Key, idealisiert die Frau. Christentum, Monogamie und die bestehende Gesellschaftsordnung, innerhalb derer sie die Frau dem Manne gleichstellen will, sind ihre Grundpfeiler. Pflichterfüllung, Disziplin, Arbeit und Nützlichkeit sind für die Gesellschaft wichtig; Glück, Liebe und Schönheit sind private Forderungen.

Die Linke möchte die Gesellschaft umbilden, Gleichheit und Solidarität zwischen den Einzelnen herstellen, wodurch sich Rechte und Freiheiten der Frau natürlich dem Manne angleichen. Die volle persönliche Bewegungsfreiheit der Frau ist jedoch nur dadurch zu erreichen, dass man "die Kinder der Obhut der Gesellschaft überantwortet." (Ü.L.u.E.:272)

An dieser Stelle meldet Ellen Key ihre Bedenken an:
"Aber wenn sie, um so ,das Leben leben’ zu können, ,von der Last des Kindes befreit’ sein wollen, dann wird man nachdenklich. Denn solange keine Kinderpflegeautomaten erfunden sind, keine männlichen Volontäre sich angemeldet haben, muss ja diese Last auf andere Frauen fallen, die - mit oder ohne eigene Mutterschaft - dann gezwungen sind, doppelt zu tragen." (S.221)

Die "Befreiten" sehen auf die Tätigkeit des Kindererziehens herab, als sei dieses Tun nicht viel mehr als "die Pflichtensphäre des Tierweibchens" (S.223)

Was ist nun von der Idee der Staatserziehung zu halten?

Diese Frage versucht E. Key "vom Kinde aus" zu beantworten, weil ihr Recht den Rechts- und Freiheitsforderungen der Eltern entgegentritt.

Gewiss gibt es viele Elternhäuser, wo die Kinder weder die körperlichen noch die geistigen Bedingungen für eine gesunde Entwicklung haben.

Auch stimmt es, dass viele häusliche Aufgaben einförmig und langweilig sind, darüber hinaus keinen Geldlohn einbringen, der Unabhängigkeit und Anerkennung verspricht.

Wenn nun Kollektiverziehung besser und billiger wäre, wie seine Befürworter meinen, dann könnte der Wunsch der Frauen nach beruflicher Tätigkeit wunderbar damit vereinbart werden.

Dem widerspricht Key aus verschiedenen Blickwinkeln (Ü.L.u.E.:251ff.):

Man geht davon aus, dass "die Mühen, die eine Frau für die Kinder, denen sie selbst das Leben gegeben, nicht erträgt, andere Frauen für 10 - 20 - 30 Kinder ertragen (sollen), die nicht ihre eigenen sind!" (S. 251) Dieser jetzt schon von so vielen gutgeheißene "Kulturplan" würde die Kindheit gleichförmig gestalten, die Kinder in Bezug auf persönliche Beziehungen und Liebe aushungern; das "Drechseln" würde nicht erst in der Schule, sondern schon viel früher beginnen. (S.252)

Liebe können die Pflegerinnen den Kindern nicht geben, nur ein allgemeines Wohlwollen, das sie möglichst gerecht auf alle Kinder zu verteilen hätten.

Alle Liebe vom Menschen zum Menschen, die diesen Namen verdient, ist aber immer persönlich, ist eine Auswahl, eine Unterscheidung. (S.257)

"Die Mutterliebe und die Gegenliebe, die diese beim Kinde erweckt, übt nicht nur die erste tiefe Einwirkung auf das Gefühlsleben des einzelnen, nein sie ist die erste Form des Gesetzes der gegenseitigen Hilfe, sie ist die Wurzel des Altruismus. (D.Fr:171)

"Eine ‘Wahlmutter’ wird vielleicht einmal, mehrere Male eine solche Liebe zu einem oder einigen der ihr anvertrauten Kinder empfinden können. Aber sie kann diese Liebe nicht für alle hegen, und sie wird selbst ganz zerrissen, wenn die Kinder, die sie liebt, ihr wieder und wieder genommen werden." (Ü.L.u.E.:258)

Wenn die ganze Gesellschaft auf dieser Grundlage aufgebaut werden sollte, müsste es außerdem "Anstaltsmütter" zu vielen Tausenden geben. Immer seltener würden die persönliche Begabung und Neigung, sondern die geforderte Berufsausbildung und die Verdienstmöglichkeiten entscheidend sein. (S.258)

Natürlich gibt es Ausnahmesituationen, wo die häuslichen Verhältnisse so schlecht sind, dass nur Kinderkrippe, Kinderheim oder Kindergarten dem abhelfen können, doch statt die Hilfsmaßnahmen zu verallgemeinern, sollte man sich bemühen, die Ursachen zu beheben.

So sollte zum Beispiel die Ursache von Armut und Verelendung der Eltern behoben werden wie auch die Ursache von Brutalität oder Unwissenheit.
"Hebt nicht die bedeutungsvollste aller Gemeinsamkeitserziehung auf, die der Kinder durch die Eltern, die der Eltern durch die Kinder!" (S.259)

Das Bedürfnis, irgendwohin zu gehören, ist im Menschen so stark, dass die beste Nahrung, das reinste Bett und die gleichmäßigste Pflege dafür keine Ausgleich bieten.

"Begreift man denn nicht, dass die Anstaltserziehung der jungen Generation die letzte und schwerste Erfahrung des Lebens aufzwingen würde: die, keinem am meisten und am nächsten zu sein....? (S.261)



Fußnoten:

[40] Vgl. Herder: Der erste Freigelassene der Schöpfung, in: Scheuerl, 1992: 89

[41] Zu Keys Zeit ist unter "äußerste Rechte" etwas vollkommen anderes zu verstehen als nach der Zeit des Nationalsozialismus.



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